Gesellschaftliche Exklusion aufbrechen

Der Artikel erschien ursprünglich beim so_ko_wpt

In Unterhaltungen mit „nicht-weißen“, nach Deutschland zugewanderten oder geflüchteten Menschen lässt sich erfahren, dass sie, die im Wahlsystem meist nicht vorkommen und deshalb nicht nur in den aktuellen Talkshows und Features tatsächlich stimmlos sind, sich vom Ergebnis der Wahl ebenso betroffen fühlen wie alle anderen. Sie werden in unzähligen Sendeminuten und in hunderten Artikeln zwar zur Projektionsfläche für immer irrsinnigere Welterklärungen rechter Diskurse, aber nicht nach ihrer Meinung gefragt. Dabei haben viele nicht nur Fragen zur Bedeutung des Wahlergebnisses, sondern auch zur Bedeutung von Wahlen an sich. Es gibt differierende Ansichten dazu, welche Folgen der Einzug einer rechten Partei in den Bundestag für das Zusammenleben in ihrer Stadt haben wird und verschiedene Vorstellungen zu einer notwendigen eigenen künftigen Positionierung, wenn gesellschaftlicher Rassismus nicht mehr in muffigen Runden am Stammtisch und hinter zugezogenen Gardinen versteckt, sondern als „legitime Meinung“ offen auf dem Markt verhandelt wird.

Öffentlich diskutiert wird das nicht. Stattdessen wird seit der Wahl am 24. September unablässig und ausschließlich über die sinistren Gefühlslagen der sechs Millionen „besorgten“ WählerInnen der AfD gesprochen. Hingegen sind die Ängste von über 17 Millionen Menschen „mit Migrationshintergrund“ in der BRD nicht wichtig genug, besprochen zu werden. Diese ausschließliche Beschäftigung mit den Motiven meist männlicher weißer Rassisten ist eine weitere Festschreibung von Rassismus und rechten Parametern, nachdem diese schon vor der Wahl zunehmend in die öffentlich geführten Diskurse eingesickert sind. Denn es zeigt deutlich auf, dass der völkische Gesellschaftsbegriff nicht nur von der AfD vertreten wird. Vermeintliche Sorgen müssen weiß und deutsch daherkommen, um in TV-Talkshows und Leitartikeln thematisiert zu werden. Befürchtungen und Ansichten anderer sind es nicht wert, selbst wenn deren Ängste im Gegensatz zum Wahnwitz „besorgter Bürger“ auf realen täglichen Bedrohungen durch Rassisten und auf Gewalterfahrungen beruhen. Die unmissverständliche Meta-Botschaft, die auf allen Kanälen und bei jeder Diskussion um Befindlichkeiten angeblich „abgehängter Deutscher“ ausgesendet wird, ist, dass MigrantInnen und Geflüchtete eben nie dazu gehören werden.

Ihre Exklusion erreicht mit der Konzentration von PolitikerInnen und Medien auf rechte Parolen und Forderungen eine neue Spitze. Das Narrativ der „ausgegrenzten“ Rassisten grenzt in Wahrheit ihre potentiellen Opfer aus und das Ignorieren von deren Sorgen zeigt, wie sehr der rassistische Diskurs schon zur gesellschaftlichen Grundlage einer Themensetzung geworden ist. Das Unhörbarmachen eines guten Fünftels der Bevölkerung trifft dabei jene, die ohnehin aufgrund sprachlicher Barrieren teilweise nicht über viele Zugänge zu Medien verfügen und oft auch von Diskussionen ausgeschlossen sind. Sie müssen mir ihrer zunehmenden Ausgrenzung alleine klarkommen. Zwar sind auch viele, nicht auf den ersten Blick als „anders“ identifizierbare Menschen besorgt, schließlich bedeutet die Entwicklung nicht nur die Etablierung von Rassismus in der gesellschaftlichen Mitte, sondern vorhersehbar auch die Ausweitung autoritär-repressiver Politik und einen gesellschaftlichen Backlash.

Doch anders als direkt von Rassismus Betroffene können sie sich noch weitgehend unbehelligt artikulieren und auch öffentlich auf die Suche nach einem richtigen Umgang mit den politischen Entwicklungen machen. Sie können auf das Ereignis „Bundestagswahl“ aus vermeintlich noch sicherer Position reagieren. Sie können sich treffen und äußern und sie verfügen auch über eine Anzahl von Medien, in denen sie Diskussionen selber anstoßen können. Angesichts der laufenden Diskurse sind sie damit die letzten möglichen „Verbündeten“ derjenigen, die darüber nicht verfügen. Neben der notwendigen Auseinandersetzung mit den eigenen Reaktionsmöglichkeiten auf Kommendes ist es deshalb genauso wichtig, das Privileg eigener „Sicherheit“ nun mit denen zu teilen, die auf offene Diskussionen und Vermittlung von Informationen angewiesen sind, um ein teilweise diffuses Gefühl von Bedrohung in eine realistische eigene Einschätzung verwandeln zu können. Das beginnt mit Begegnungen in sicheren Räumen und mit Fragen dazu, was sie zur Wahl denken.

Auf „Kleiner Drei“ hat die Autorin „Amina“ nach der Wahl über die aktuelle Situation von „Non-Almans“ geschrieben: „(…) wir kämpfen schon lange, wir kämpfen eigentlich schon unser ganzes Leben, unsere Verbündeten haben jetzt die Pflicht sich für uns einzusetzen, laut zu werden, sich einzumischen (…) Ich erwarte jetzt, dass unsere Verbündeten aktiv werden: diejenigen die nicht betroffen sind, aber schon Jahre an unserer Seite stehen und diejenigen, die bisher schweigend zugeschaut haben.“

Was denken Refugees, MigrantInnen und Minderheiten zur Wahl?

Beim w2wtal-Frühstück am 15. Oktober im ADA will „We Stay United Wuppertal“ mit Geflüchteten und mit MigrantInnen über ihre Ansichten zur Wahl ins Gespräch kommen. Um das Gespräch am Sonntag vorzubereiten, können Meinungen zur Wahl vorab geäussert werden. Sie können per E-Mail an w2wtal (w2wtal [at] bastardi.net) oder auf der Facebook-Veranstaltungsseite gestellt werden, am besten auf Deutsch oder in Englisch. Für das Gespräch im Café ADA, das gegen 12 Uhr beginnen soll (Frühstück 11 Uhr), bemühen sich die InitiatorInnen um weitere Übersetzungen.