Der Trick beim Fliegen besteht darin, sich auf den Boden zu werfen und ihn zu verfehlen.
(Douglas Adams – Per Anhalter durch die Galaxis)
[von Walerij Lobanowskji]
Mit einer wunderschönen Demo-Parade in Berlin endeten zwei Wochen unserer Aktionstage zu „We‘ll come United“. Mit einem vollem Reisebus fuhren zum Abschluss am frühen Samstagmorgen etwa fünfzig Menschen von Wuppertal zur Demonstration nach Berlin. Die in den Bus Einsteigenden bildeten dabei die später an der „We‘ll come United“-Parade Teilnehmenden ziemlich gut im Kleinen ab: Die Hälfte der Mitfahrenden waren aktuell oder früher nach Wuppertal (oder in die Umgebung) Migrierte, die anderen haben schon länger ihren Lebensmittelpunkt in der Region. Es fuhren Männer und Frauen, Familien, ältere und junge Menschen. Angesichts des aktuellen, durch die Abschiebungen verursachten Drucks war es nicht überraschend, dass unter den Mitfahrenden viele Menschen aus Afganistan waren. Auch beim comUNITY-carnival in Berlin gab es einen starken afghanischen Block, der sich hinter einem „Bleibistan“-Banner formierte. Doch es nahmen Menschen aus vielen Comunities teil. Der vor der Demonstration verbreitete Slogan „Alle kommen. Von Überall“, stimmte also teilweise.
Er stimmte natürlich nur zum Teil, weil nicht „alle“ da waren. Das wurde schon durch die Anzahl der Teilnehmenden deutlich. Obwohl es aufgrund der dezentralen Struktur der Parade beinahe unmöglich war, die Zahl der Anwesenden zu schätzen – es gab zu keinem Zeitpunkt einen zentralen Punkt, an dem es einen Gesamtüberblick gegeben hätte – wird die später kolportierte Zahl von „etwa zehntausend“ Menschen wohl stimmen. Sie stellte den oberen Bereich dar, der irgendwann nach dem Auftakt auf dem Weg zur Zwischenkundgebung am Lustgarten erreicht worden sein mag. Auch die Zusammensetzung der Teilnehmenden verdeutlichte, dass der am Beginn der Kampagne stehende Plan, einen größeren Teil jener zu erreichen, die das millionenfache zivilgesellschaftliche Engagement für und mit Refugees abbilden, nicht aufging. In weiten Teilen erinnerte die „We‘ll come United“-Parade deshalb an eine Art „Familienfest“ migrationspolitisch aktiver und antirassistischer Initiativen. So betrachtet, wird aus der vielleicht als eher enttäuschend klein empfundenen Zahl 10.000 eine große.
Dass der Plan nicht aufgehen würde, die oft politisch meist stimmlosen oder leisen zivilgesellschaftlichen Akteure in die „We‘ll come United“-Strukturen einzubinden, war schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt klar. Trotz der Beteiligung größerer NGOs – u.a. waren attac Deutschland, diverse Flüchtlingsräte, die Humanistische Union oder medico unter den Mitunterzeichnern des Aufrufes – gelang es nicht, viele der Menschen in eine politische Manifestation einzubinden, die im Rahmen ihres Engagements in teils kleinteiligen „Willkommensinitiativen“ der Städte und Stadtteile mehr und mehr direkt mit den Folgen der Asylrechtsverschärfungen oder mit den zunehmenden Abschiebungen konfrontiert sind. Auch in dieser Beziehung standen unsere Bemühungen im Vorfeld der Wuppertaler Aktionstage vielleicht exemplarisch für die Gesamtsituation. Die an den Aktionstagen Beteiligten bildeten zumeist das Spektrum emanzipatorischer und antirassistischer Gruppen in Wuppertal ab, das sich schon seit Jahren mit der Thematik befasst. Ausnahmen bestätigen hier eher die Regel.
Es bleibt ein aufzuarbeitendes Phänomen, warum es nicht gelingt, in den Debatten um Geflüchtete, Flucht und Zuwanderung, um so genannte Integration oder zu Ursachen von Flucht die realen gesellschaftliche Verhältnisse abzubilden. Bis heute sind Gründe dafür diffus, warum bei zu vielen aus ihrem humanitärem Engagement keine politische Haltung entsteht, wenn die Politik ihr humanitäres Engagement behindert oder gar konterkariert. Eine Aufarbeitung dieses „Nebeneinander“ darf dabei nicht bei Kritik an den am 16.9. Abwesenden stehenbleiben. Auch wir müssen uns fragen, inwieweit seit dem Sommer 2015 ernsthaft versucht wurde, dem humanitären Engagement unsere politische Einmischung solidarisch zur Seite zu stellen – vieles wurde da sicher versäumt. Angesichts der (auch deshalb) weit nach rechts verschobenen Diskurse und kurz vor einer Wahl, die Feinde einer offenen Gesellschaft bestätigt, konnte die Erwartung, das nun nachholen zu können, nicht erfüllt werden.
Aber selbst, wenn es gelungen wäre, am 16. September mehr als zehntausend Menschen auf die Berliner Straßen zu mobilisieren, bleibt die Frage, was es in Bezug auf die exekutierte Politik europäischer Abschottung gebracht hätte. In Betrachtung der auch militärischen Entschlossenheit, mit der Deutschland und Europa dichtgemacht werden, fällt die Antwort darauf ernüchternd aus. „We‘ll come United“ hätte deshalb auch dann hauptsächlich eine Wirkung nach innen gehabt: Als Selbstvergewisserung und für ein erneuertes Gefühl eigener Stärke. Das wurde mit der Demo-Parade vom Bundesinnenministerium zum Oranienplatz auch mit 10.000 Teilnehmenden zweifellos erreicht. Die übereinstimmende Beurteilung aller war, dass es sich um eine der „schönsten“ Demos der letzten Jahre handelte. Schön waren die teilnehmenden Menschen. Schön waren die vielen glücklichen Gesichter bei der Demo oder am Straßenrand. Schön war vor allem die massenhafte Teilnahme von Geflüchteten. Schön war auch die hörbare Vielstimmigkeit, obwohl es durch das Fehlen einer zentralen Kundgebung nicht immer möglich war, jedem Redebeitrag zu folgen.
Schön war auch, dass der Demo-Zielpunkt, der Oranienplatz, einen Bezug zu Kämpfen von Refugees herstellte, die vor dem „Sommer der Migration“ 2015 abliefen und die heute manchen erscheinen mögen, als hätten sie in einem anderen Universum stattgefunden. Nicht nur Napulis Rede auf dem „O-Platz” machte deutlich, dass das nicht so ist. Vor allem für erst seit Kurzem Aktive wurde deutlich, das Flüchtlingskämpfe eine ebensolche Konstante sind wie der bekämpfte Rassismus und andauernde Repression und Diskrimierung. Das gehörte zum Verdienst der Demonstration. „We Stay United“, wie es auf dem Frontbanner hieß, war in diesem Sinne auch nicht nur als Ankündigung zu verstehen, sondern konnte als Brückenschlag zwischen verschiedenen „Generationen“ Geflüchteter und UnterstützerInnen gelesen werden. Ebenso verdienstvoll war die eindeutige Benennung tatsächlich Verantwortlicher für den Massentod im Mittelmeer, für eine Abschiebemaschinerie und für ständige Verschärfungen des Asylrechts bei der Parade. De Maiziére, Seehofer, Merkel, Gabriel, Steinmeier, Maas oder Kretschmann kommen schließlich angesichts der öffentlichen Fixierung auf die rassistischen Forderungen der AfD häufig viel zu gut und ungeschoren weg.
Sie offen benennen zu können war möglicherweise sogar nur deshalb möglich, weil eine sehr breite Mobilisierung nicht geklappt hat und es keine Auseinandersetzungen mit Gruppen gab, die bei der Verurteilung rassistischer Positionen gerne Unterschiede machen. Für die Aktionstage in Wuppertal lässt sich Ähnliches sagen: Die Zusammensetzung der OrganisatorInnen ermöglichte sehr konzentrierte Auseinandersetzungen mit einigen Themen, die alle beschäftigen, die sich mit und für Refugees engagieren. Es ging um wachsenden Kulturrassismus und Neonationalismus, um den auch in den „Leitmedien“ weit nach rechts verschobenen öffentlichen Diskurs, um Antiziganismus als Konstante mehrheitstauglichen Rassismus, um grundsätzliche Probleme des Engagements und um die zunehmende Kriminalisierung der Rettung und Unterstützung von Menschen auf der Flucht. Die Veranstaltungen der Aktionstage wurden durchweg als Erfolg wahrgenommen.
Dass das Programm in diesem Umfang und mit diesem Anspruch realisiert werden konnte, war der Kooperation von Initiativen und Gruppen zu verdanken, die zuvor manchmal wenig aufeinander bezogen arbeiteten. Es fanden während der gemeinsamen Arbeit Annäherungen statt, aus denen sich auch im lokalen Umfeld Kraft schöpfen lässt. Dass das Zusammenbringen verschiedener Akteure nicht in ganzer Breite gelungen ist, ließ sich so durch die Intensität absolut kompensieren. Die Aktionstage mit der abschließenden Parade haben gezeigt, dass die Bewegung der Migration und ihre Autonomie „unstoppable“ sind. Wenn „We‘ll come United“ ein Versuch war, „uns auf den Boden zu werfen“, mag er gescheitert sein. Doch das „Spaceship Solidarity“ fliegt…
Nach und nach werden wir die vielfältigen Aktionen und Veranstaltungen unserer Aktionstage noch aufarbeiten und einzelne Inhalte auch zugänglich machen. Die neugewonnenen Kooperationen werden jetzt nicht enden. Unsere Website bleibt aus beiden Gründen deshalb online und wird weiter aktualisiert.
Respect Existence or Expect Resistance!